Umstrittene EU-Verordnung

Antibiotikaverbot für Tiere?

Aufgrund einer EU-Verordnung soll die Gabe einiger Antibiotika an Tiere verboten werden. Doch Tierärzte schlagen Alarm. Können dadurch Haustiere in Zukunft nicht mehr adäquat behandelt werden? Alles zu dem umstrittenen Antibiotikaverbot lesen Sie hier.

Antibiotikum
Antibiotikaverbot für Tiere? © SUPERMAO-stock.adobe.com

Um Resistenzen gegen Antibiotikum bei Menschen einzudämmen, soll die Gabe bestimmter Antibiotika an Tiere verboten werden. Dabei handelt es sich vor allem um sogenannte Reserveantibiotika, die auch bei multiresistenten Erregern helfen und zukünftig daher ausschließlich Menschen vorbehalten sein sollen.

Das Gesetz tritt 2022 in Kraft

Das Antibiotikaverbot bei Tieren wird in der neuen EU-Verordnung „2019/06“ geregelt, die bereits 2019 verabschiedet wurde und im Januar 2022 in Kraft tritt. Aktuell laufen die Verhandlungen darüber, welche Antibiotika genau von dem Verbot betroffen sein werden. Doch dabei gibt es große Unstimmigkeiten.

Der Grund: Nach einer Abstimmung des Ausschusses für Umweltfragen, öffentliche Gesundheit und Lebensmittelsicherheit des EU-Parlaments (ENVI) sollen nun auch Antibiotika verboten werden, die für die Behandlung einiger Krankheiten bei Hunden, Katzen, Kaninchen, Pferden oder anderen Tieren dringend notwendig sind. Denn obwohl das Verbot in erster Linie auf die Antibiotikagabe in der Massentierhaltung abzielt, sind nach derzeitiger Rechtslage offenbar alle Tiere von dem Gesetz betroffen. Tiermediziner schlagen Alarm und sehen das Leben vieler Haustiere in Gefahr. Die Grünen, die sich im ENVI-Ausschuss maßgeblich für ein strengeres Verbot eingesetzt haben, sehen die Befürchtung der Tierärzte und -halter als unbegründet.

Update vom 16.09.2021: Abstimmung im EU Parlament

Mitte September wurde im EU-Parlament über das Antibiotikaverbot abgestimmt. Das Ergebnis fiel zugunsten der besorgten Tierärzte aus, denn die Abgeordneten stimmten mehrheitlich gegen das Veto und für den (weniger strengen) Entwurf der delegierten Verordnung der Kommission über "Kriterien zur Identifizierung von antimikrobiellen Arzneimitteln, die für die Behandlung von Menschen vorbehalten sind".

Der Bundesverband praktizierender Tierärzte (bpt) begrüßt diese Entwicklung. Auf seiner Homepage schreibt er, dass so eine massiver Beitrag für die Humangesundheit im Sinne des One-Health-Ansatzes geleistet werde und Tiere weiterhin adäquat mit einer ausreichenden Anzahl von in der Tiermedizin zugelassenen Antibiotika behandelt werden könnten.

Die Grünen zeigen sich hingegen entsetzt. Sarah Wiener, EU-Abgeordnete der Grünen, bezeichnete das Ergebnis als "vertane Chance". Die Liste der Reserveantibiotika könnte ihr zufolge so dünn ausfallen, „dass sie nicht wirklich eine Lösung zur Bekämpfung der zunehmenden Entwicklung von Multiresistenzen von Bakterien ist. Durch den Einspruch hätten wir mehr Klarheit und Transparenz erreicht.“

Bisheriger Verlauf des Streitfalls "Antibiotikaverbot für Tiere"

Warum ist das Antibiotikaverbot ein Problem?

Mitte Juli 2021 sollte der ENVI-Ausschuss über einen Entwurf der EU-Kommission zu dem Antibiotikaverbot abstimmen. Dieser Entwurf wurde von vielen von der Europäischen Arzneimittelbehörde (EMA) und weiteren Behörden, darunter auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und die Welttiergesundheitsorganisation (OIE), über lange Zeit erarbeitet und bezieht die Gesundheit von Mensch und Tier mit ein.

Mit diesem Entwurf waren auch die Tierärzte einverstanden. Prinzipiell erachten es nämlich auch sie als sinnvoll, bestimmte Reserveantibiotika nur für Menschen zur Verfügung zu stellen. Daher achten Tierärzte schon seit vielen Jahren darauf, möglichst wenig Antibiotika zu nutzen.

Seit 2012 wurde der Einsatz von Antibiotika in der Tiermedizin um 60 Prozent reduziert.

Keine Antibiotika-Behandlung mehr für Haustiere?

Bei der Abstimmung stimmte die Mehrheit des ENVI-Ausschusses nach einem Veto der Grünen allerdings gegen den Entwurf und stattdessen für strengere Verbote. Demnach sollen nun alle Antibiotika für Tiere verboten werden, die von der WHO als für den Menschen besonders wichtig eingestuft werden. Es handelt sich um ein komplettes Anwendungsverbot von Fluorchinolonen, Cephalosporinen der 3. und 4. Generation, Polymyxinen und Makroliden, auch bei einzelnen Notfällen.

Das Problem: Viele dieser Medikamente sind nicht nur für Menschen, sondern auch für die Behandlung kranker Tiere wichtig. Ohne bestimmte Antibiotika können Tierärzte Krankheiten bei Hund, Katze, Kaninchen und Co. nicht mehr (ausreichend) behandeln. Dazu gehören zum Beispiel Ohren- oder Lungenentzündungen sowie bakterielle Infektionen.

Der Bundesverband praktizierender Tierärzte (bpt) zeigt sich entsetzt über diese Entwicklung. „Zum Wohl aller Tiere müssen wir uns […] dafür einsetzen, dass alle für die Tiermedizin zugelassenen Antibiotika auch in Zukunft weiter zur Behandlung zur Verfügung stehen. Anderenfalls würde es schlimmstenfalls den Tod vieler Tiere bedeuten“, erklärt Dr. Siegfried Moder, Präsident des bpt, in einer Pressemitteilung. Andere Institutionen wie die Bundestierärztekammer und der Deutsche Tierschutzbund teilen diese Ansicht.

Kaninchen bekommt eine Spritze
Kaninchen und andere Kleintiere sind auf ein bestimmtes Antibiotikum angewiesen. © motortion-stock.adobe.com

Warum ein Antibiotikaverbot für Tiere?

Hintergrund des Antibiotikaverbots bei Tieren ist die Bildung von sogenannten multiresistenten Keimen. Diese bilden sich durch hohen Einsatz von Antibiotika. Das hat zur Folge, dass Antibiotika bei einer Behandlung nicht mehr anschlagen. Etwa 33.000 Menschen sterben in Europa pro Jahr aufgrund von Resistenzen, durch die Antibiotikum nicht mehr wirkt.

Diese Resistenzen bilden sich nicht nur durch Antibiotikagabe in der Humanmedizin, sondern auch in der Tierhaltung. In der Massentierhaltung ist es üblich, beispielsweise gesunden Hühnern Antibiotika vorbeugend zu verabreichen, damit sie bei den schlechten Haltungsbedingungen nicht erkranken.

Doch durch das Antibiotikum entwickeln sich im Tierkörper multiresistente Keime, die der Mensch zu sich nimmt, wenn er das Tier isst. Die Keime können Infektionen auslösen, gegen die Antibiotika nicht mehr helfen.

Bei einer Studie von Germanwatch aus dem Jahr 2020 wurde Hähnchenfleisch von den drei führenden EU-Geflügelkonzernen untersucht. Mehr als die Hälfte der untersuchten Proben waren mit Resistenzen gegen ein oder mehrere Antibiotika belastet.

„Insgesamt sind die Haltungsbedingungen in der Tiermast endlich zu verbessern und die Verschwendung von medizinisch wertvollen Ressourcen zu beenden. Die Probleme der Tiermast können nicht mit hohen Mengen an Antibiotika geheilt werden“, so Martin Häusling, EU-Abgeordneter der Grünen und Mitglied des ENVI-Ausschusses. Er hat sich maßgeblich für das strengere Antibiotikaverbot eingesetzt. Seiner Ansicht nach droht durch die hohe Gabe von Reserveantibiotika an gesunde Masttiere „die Wirksamkeit von Reserveantibiotika in den nächsten Jahren gefährlich zu senken.“

Antibiotika in der Massentierhaltung
In der Massenhaltung von Masthühnern oder -puten werden wertvolle Reserveantibiotika an gesunde Tiere gegeben. © Catalin-stock.adobe.com

Welche Tiere sind betroffen?

Das Antibiotikaverbot soll vor allem für die Massentierhaltung gelten. Dass sich an der Antibiotikagabe an gesunde Masttiere etwas ändern muss, finden auch der Bundesverband praktizierender Tierärzte (bpt), Tierschutzbund und Co. Doch sie sehen trotzdem ein großes Problem: Auch wenn vor allem die Massentierhaltung Ziel des Antibiotikaverbots ist, so gilt sie dennoch auch für alle anderen Tiere. Der Präsident des Bundesverbands praktizierender Tierärzte Dr. Siegfried Moder erklärt in einer Pressemeldung:

„Tierhalter müssen erfahren, was in Brüssel weitgehend im Verborgenen vor sich geht und welche Konsequenzen die zu befürchtende Entscheidung für ihre Tiere haben wird. Fakt ist, dass das Europäische Parlament wissenschaftliche Fakten ignoriert und nicht nur, wie vorgegaukelt wird, Nutztiere von einem Anwendungsverbot betroffen wären, sondern alle Tierarten.“

Das liege daran, dass die politischen und juristischen Rahmenbedingungen dafür, die Verbote auf bestimmte Tiere zu begrenzen, offenbar gar nicht existieren: „Entweder alle oder keiner“, sagte Andreas Palzer vom bpt gegenüber dem Münchner Merkur. Denn die Verordnung 2019/6 sehe allgemein keine Differenzierung zwischen Tierarten vor.

Antibiotika Hund
Im ENVI-Ausschuss wurde ein strengeres Antibiotikaverbot für Tiere gefordert. © Photographee.eu-stock.adobe.com

Kann das Verbot überhaupt nur für einzelne Tiere gelten?

Europa-Abgeordneter der Grünen und Befürworter des strengeren Verbots Martin Häusling beteuert in einem offenen Brief an den bpt allerdings, dass sich das Verbot nicht wie befürchtet auf die Einzeltierhaltung und „erst recht nicht auf Haustiere“ auswirkt, sondern wirklich nur für die Massentierhaltung gelten soll. Er wirft dem bpt sogar falsche, bzw. unsachliche Informationen vor und ist der Meinung, dass der Verband private Tierhalter unnötig verunsichere. Seine Fraktion habe eine Ausnahmeregelung in ihren Antrag mit eingebracht, damit einzelne Tiere weiterhin mit den verbotenen Antibiotika behandelt werden können, wie er dem Münchner Merkur berichtet.

Aktuell ist eine Differenzierung zwischen Tieren aber offenbar nicht möglich. Denn für eine Ausnahmeregelung, die die Behandlung einzelner Tiere mit den verbotenen Antibiotika ermöglichen würde, müsste zuerst die Verordnung 2019/6 geändert werden.

„Verfahren zur Änderung von EU-Verordnungen sind sehr langwierig. Selbst wenn die EU-Kommission einer entsprechenden Änderung zustimmen und den Prozess in Gang setzen würde, würde es voraussichtlich noch mehrere Jahre dauern, bis […] diese Ausnahme dann tatsächlich in Kraft tritt“, erklärt die Bundestierärztekammer in einem Informationsschreiben an Tierhalter. Zudem sei es sehr unwahrscheinlich, dass eine Änderung der neuen und lang diskutierten Verordnung überhaupt in Angriff genommen werde, „zumal eine solche Ausnahme in den damaligen Verhandlungen bereits diskutiert wurde und nicht mehrheitsfähig war“, so die Bundestierärztekammer.

Mitte September 2021 muss die EU-Kommission über den Vorschlag des ENVI-Ausschusses abstimmen. Bis dahin versucht der Bundesverband praktizierender Tierärzte alles, um das strenge Antibiotikaverbot für Tiere aufzuhalten. In teilnehmenden Tierarztpraxen können Tierhalter eine Petition dagegen unterschreiben. Außerdem gibt es eine Online-Petition.
Katze bekommt Antibiotikum
Nach aktueller Rechtslage sind offenbar auch Haustiere von dem Antibiotikaverbot betroffen. © Maria Sbytova-stock.adobe.com
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