Reportage

Vom Tierschutzhund zum Europa-Champion

Christian Mayerhofer hat mit seiner Hündin Tinkabell, genannt Tinka, eine unglaubliche Reise hinter sich: Vom ängstlichen und traumatisierten „Problemfall“ wurde sie in seiner Obhut zur Sportskanone und zu einem wahren Champion.

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Christian und Tinkabell sind zu einem echten Team zusammengewachsen.  © Christian Mayerhofer

Die erste Begegnung zwischen Christian und Tinkabell verlief nicht gerade vielversprechend. Liebe auf den ersten Blick sieht jedenfalls anders aus: „Bei der ersten Begegnung hat sie gleich mal nach mir geschnappt“, erinnert sich Christian Mayerhofer an jenen Tag vor ungefähr vier Jahren. Und was dann kommt, ist erst einmal ungewöhnlich, denn er fährt fort: „Und da wusste ich, dass ich sie aufnehmen muss!“ Wie bitte?! Normalerweise sind Hunde, die Menschen beißen, doch eher die, um die ein großer Bogen gemacht wird? „Genau das ist es ja!“, bekräftigt Christian. „Ich dachte: Wenn ich sie nicht nehme, dann nimmt sie niemand.“ 

Neue Chance für Tinkabell

Tinkabell ist eine wunderschöne Siberian-Husky-Hündin, die alle Blicke auf sich zieht. Doch sie war zu diesem Zeitpunkt auch ein schwer traumatisiertes Tier, mit dem kaum jemand umgehen konnte. Als Welpe war sie nachts an der Autobahn ausgesetzt worden. Sie wurde dann mehrmals vermittelt und immer wieder zurück ins Tierheim gebracht, weil die Besitzer mit ihr nicht klarkamen.

Vertrauen in Menschen kannte sie gar nicht. Und deshalb wollten die Mitarbeiter im Tierheim dieses Mal sicher gehen, dass sie endlich an jemanden vermittelt werden würde, der sie nicht wieder zurückbringt. Christian Mayerhofer und seine Lebensgefährtin Anna mussten sie regelmäßig im Tierheim besuchen, mit ihr spazieren gehen, sie erst einmal tageweise mit zu sich nehmen, bis Tinkabell endlich ganz zu ihnen ziehen durfte. 

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Tinkabell musste erst lernen, Christian und Anna zu vertrauen. © Christian Mayerhofer

Die beiden mussten mit einiger Ausdauer beweisen, dass es ihnen mit dieser „Problemhündin“ wirklich ernst war. Wir halten fest: Liebe auf den ersten Blick war es also doch irgendwie – nur eben erst einmal etwas einseitig. Christian war schon immer ein Hundefreund: „Ich habe als Kind sehr viel Zeit auf dem Bauernhof meiner Großeltern verbracht und seitdem schon einen Bezug zu Tieren, auch zu Hunden.“ Dennoch fügt er hinzu: „Ich war definitiv nicht richtig auf das vorbereitet, was mich mit Tinka erwartet hat!“ Und es erwartete ihn eine ganze Menge. 

Aufgeben kommt nicht in Frage

Tinkabell war zwei Jahre alt. Prägephase, Sozialisierungsphase – alles war schon abgeschlossen und die junge Hündin hatte in ihrem Leben mit Menschen eigentlich nur schlechte Erfahrungen gemacht. Sie war sehr unsicher, vor allem gegenüber Fremden und ganz besonders gegenüber Männern. Panik und Angstzustände kamen grundsätzlich bei Dunkelheit hoch, denn mit Sicherheit verknüpfte sie die Dunkelheit mit dem Trauma, nachts alleine ausgesetzt zu werden.

Aus einigen ihrer Reaktionen war außerdem deutlich erkennbar, dass sie auch geschlagen worden war. Christian Mayerhofer erinnert sich: „Es dauerte sehr lange, bis Tinkabell Vertrauen fasste und immer mehr auflebte. Es gab viele Momente, in denen ich den Tränen nahe war und einfach nicht mehr wusste, wie ich mit Tinka umgehen und ihr helfen sollte.“ Doch Aufgeben kam nicht infrage, im Gegenteil: „Ich habe eine Ausbildung zum Hundetrainer begonnen und meine Motivation ist, dass ich genau solchen Menschen wie mir damals in Zukunft auf ihrem Weg beistehen möchte.“ 

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Tinkabell ist eine echte Sportskanone.© Christian Mayerhofer

Sport wirkt heilsam auf Tinkabell

Eine einschneidende Wende brachte für Tinkabell neben der liebevollen Fürsorge ihrer neuen Menschen aber auch noch etwas ganz anderes, nämlich der Sport. So, wie Sport manchen Menschen aus der Krise hilft oder „Problemkindern“ neue Wege aufzeigen kann, so bemerkten auch Anna und Christian an Tinkabell, dass sie dabei aufblühte: „Tinka war hyperaktiv und immer unausgelastet, auch längere Spaziergänge halfen nicht. Irgendwann nahmen Anna und ich sie zum Laufen mit und wir merkten, dass sie Spaß daran hat. Und daraus wurde dann immer mehr.“

Christian und Anna interessierten sich zunächst für Canicross, bei dem Hunde den Menschen bei Rennen durchs Gelände ziehen: „Ich habe meiner Freundin einmal einen Besuch bei einem Musher geschenkt mit anschließender Ausfahrt mit den Hunden, dort wurde der Grundstein für den Hundesport gelegt. Wir haben mit Canicross angefangen. Später kam dann noch Bikejöring und Scooter dazu, da sitzt der Mensch auf einem Fahrrad bzw. steht auf einem Roller“, erzählt Christian Mayerhofer.

Teamgeist auf 2 Beinen und 4 Pfoten 

Gerade für Tinkabell und ihn erwies sich speziell dieser Sport als große Bereicherung, denn er fokussiert sehr stark auf der Mensch-Hund-Beziehung und dem Zusammenhalt als Team. Es ist sowohl beim Bikejöring, als auch beim Canicross entscheidend, dass Mensch und Hund als gleichberechtigte Partner agieren und aufeinander Rücksicht nehmen. „Du musst immer auf deinen Partner achten, ihn motivieren und auch bemerken, wann du Tempo rausnehmen solltest, um deinen Partner zu schonen“, erklärt Christian.

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Beim Canicross gibt Tinkabell alles. © Christian Mayerhofer

Er ist davon überzeugt, dass der Sport aus ihm und Tinka ein besseres Team gemacht hat und dass er vor allem der ängstlichen, überforderten Hündin dabei geholfen hat, Vertrauen zu fassen – und zwar in die Menschen und auch in sich selbst. „Wenn du nach einer intensiven Einheit als Erstes deinen Hund lobst und auch Tinka merkt, dass sie ganz toll gearbeitet hat, spürt man richtig, dass sie große Freude daran hat“, schwärmt das stolze Herrchen.

„Man verbringt sehr viel Zeit miteinander und lernt sich sehr gut kennen. Die Wahrnehmung, wie sich der Hund gerade fühlt, und die gesamte Beziehung zueinander wächst natürlich, wenn man auch zusammen an der Startlinie bei Rennen steht und an die gemeinsamen Grenzen geht. Und natürlich, wenn du dann gemeinsam über die Ziellinie gehst!“ 

Tinkabells Vergnügen steht an erster Stelle 

Der Sport ist für Christian, Tinka und auch für Anna eine Passion, denn auch Christians Lebensgefährtin geht bei Rennen mit Tinka an den Start. In der Hauptsaison trainieren sie etwa fünfmal pro Woche. Im Sommer allerdings muss das Lauftraining aufgrund der Temperaturen komplett eingestellt werden. Christian ärgert sich sehr über Hundehalter, die den sportlichen Ehrgeiz über das Tierwohl stellen: „Leider sehen wir auch öfters Läufer bei 25 Grad und mehr mit ihrem Hund laufen, das ist wirklich schon lebensgefährlich für die Hunde. Das geht gar nicht!“ 

Die Rennen selbst dauern insgesamt meist zwei oder drei Tage, daher suchen Christian und Anna sich nur wichtige Wettkämpfe aus und starten dann bei etwa fünf oder sechs größeren Rennen im Jahr. 

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Nach einem kühlenden Bad kann das Spiel weitergehen. © Christian Mayerhofer

Europameisterschaft: Ein Traum wird wahr

Als Team haben Christian und Tinka im Sport unglaublich viel erreicht: „Wir haben viele Rennen gewonnen und vier Medaillen bei einer EM erzielt. Das ist schon mehr, als wir uns je erträumt hätten. Alles, was jetzt noch kommt, ist eine Draufgabe. Wenn wir zurückblicken, war jede Medaille für uns ein unglaubliches Erlebnis, teilweise sogar wie ein Märchen oder einfach ein Traum, der in Erfüllung geht. Wenn wir noch Sponsoren finden, wäre natürlich ein Start bei einer WM ein zusätzlicher Höhepunkt.“

Nicht nur die Medaillen fühlen sich für Christian an wie ein Märchen – Tinkas ganze Geschichte und ihre Entwicklung sind ein bisschen märchenhaft. Wie sie gelernt hat, sich und anderen zu vertrauen, und wie aus dieser ängstlichen Hündin am Ende ein echter Champion wurde. Doch nicht nur das. Dass aus der zunächst einseitigen Liebe auf den ersten Blick inzwischen eine gegenseitige Liebe geworden ist, dürfte jedem klar sein. 

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Geteilte Freude: Mit super Zeit im Ziel angekommen. © Christian Mayerhofer

Doch wie nachhaltig Tinka auch Christian und Anna verändert hat und wie viel sie ihnen zurückgegeben hat, dafür ist Christian bewusst dankbar: „Tinkabell hat mich verändert, ich habe durch sie viel gelernt. Ich bin ruhiger geworden und sehe jetzt die wichtigen Dinge im Leben. Durch Tinkabell habe ich den Entschluss getroffen, Hundetrainer zu werden, um anderen Menschen helfen zu können, die Hunde mit einer schwierigen Vergangenheit zu sich nehmen. Ich wünsche mir, dass mir das gelingen wird. Um am meisten wünschen Anna und ich uns, dass Tinkabell glücklich ist und wir ihr ein schönes Zuhause bieten können.“ 

Tinkabell und Christian bei Instagram

Unter dem Namen „austrianmusher“ betreibt der Sportler aus Wien (Österreich) einen Instagram-Channel und beantwortet unter @austrianmusher gerne Fragen! Er ist sowohl in der Bikejöring- Szene als auch im Canicross aktiv. Außerdem absolviert er an der Hundeschule Strebersdorf bei Rudi und Susi gerade die Ausbildung zum Hundetrainer. Für ihn ist die Hundeschule zur zweiten Familie geworden – selbstverständlich auch mit allen Hunden, die dazugehören. 

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