Vogelgenetik
Gelehrte haben im Laufe vieler Jahrhunderte vergeblich versucht, den Geheimnissen der Vererbung auf die Spur zu kommen - auch bei Tieren. Im Jahre 1866 fand der Bauernsohn und Augustinermönch Johann Gregor Mendel die Lösung, die sowohl bei Pflanzen als auch bei Tiere und somit auch bei Vögeln gilt.
Die Ergebnisse der Mendelschen Versuche waren bis Anfang des 20. Jahrhunderts so gut wie in Vergessenheit geraten. Dann aber fand man heraus, dass seine Forschungen, die er mit Erbsen durchführte, nicht nur bei Pflanzen, sondern auch bei Tieren Gültigkeit hatten. Damit hatten sie auch für die Vogelzucht Gültigkeit. Mutationen wie etwa von Farben waren fortan keine Zufallsergebnisse mehr, sondern folgten Gesetzmäßigkeiten.
Grundlagen der Vererbung
Alle Eigenschaften eines Vogels, nicht nur die der Farbe und der Zeichnungsmuster, sind Bestandteile seiner Erbanlagen. Die sonst paarig vorhandenen Chromosomenstränge (bei den meisten Vögeln neun bis zwölf Paare), sind in den reifenden Keimzellen, auch Gameten genannt, nur einfach vorhanden. Durch das Verschmelzen der männlichen Samenzelle mit der weiblichen Eizelle (Befruchtung) bildet sich die erste paarige Körperzelle (Zygote) des neuen Lebewesens. Der Jungvogel bekommt jede Eigenschaft durch je ein Gen vom Vater und von der Mutter mit. Da er bei wildfarbenen Vögeln von beiden Eltern in der Regel die gleichen Erbanlagen erhält, gleicht er ihnen im Aussehen (Phänotyp) wie in den Erbanlagen (Genotyp) vollkommen. Die Natur experimentiert mit Mutationen, um möglicherweise die Farbe der Vogelart und ihre Lebenschancen zu verbessern. Meistens bleibt es ein Experiment, denn der "anders" Gefärbte findet kaum einen Partner mit der gleichen "Fehlfarbe". Tritt eine Mutation jedoch bei gezüchteten Vögeln auf, wird jeder Züchter versuchen, sie zu erhalten. Mit dem Wissen um die Mendelschen Gesetze ist es möglich, bestimmte Kombinationen hervorzubringen.
Das 1. Mendelsche Gesetz
Sind zwei reinerbige, farblich jedoch unterschiedliche Vögel mit den Farbfaktoren gleich stark, dann sind alle Nachkommen der Filialgeneration (kurz F1) stets gleich gefärbt. Sie zeigen jedoch eine Mischfarbe zwischen denen der Elternvögel. Diese Vererbung ist intermediär und bildet das Gleichförmigkeits- oder Uniformitätsgesetz.
Das 2. Mendelsche Gesetz
Im Gegensatz dazu wird dieses Gesetz als Spaltungsgesetz bezeichnet. Werden zwei Vögel der F1-Generation miteinander Verpaart, spalten sich die Vögel der F2-Generation im Verhältnis 1 zu 2 zu 1 auf. Danach wird ein Vogel reinerbig wie sein Großvater (Parentalgeneration), zwei spalterbig wie ihre Eltern und einer reinerbig wie seine Großmutter (zweite Parentalgeneration). Diese Aufspaltung gilt aber nur für den Genotyp (Erbausstattung), während der Phänotyp (äußeres Erscheinungsbild) sich 3 zu 1 zeigt. Einer der drei gleich aussehenden Vögel ist reinerbig, was nur durch Kontrollverpaarungen ermittelt werden kann. Aber auch die spalterbigen Vögel sind für weitere Versuche sehr wertvoll, denn sie besitzen die Anlagen beider P-Vögel und können in die eine oder andere Richtung weitergezüchtet werden.
Das 3. Mendelsche Gesetz
Dieses Gesetz der freien Kombinierbarkeit oder der Unabhängigkeits- bzw. Neukombinationsregel besagt, dass sehr verschiedene Gene miteinander kombiniert werden können, etwa dominant x rezessiv. Hierbei dominiert die Farbe des einen Vogels über die des rezessiven Vogels, etwa ein grüner Wellensittich über einen blauen. Die Nachkommen sind alle grün, jedoch spalterbig in Blau. Deren Nachkommen bringen einen reinerbig grünen, zwei Grüne, spalterbig in Blau, und einen Blauen hervor.
Geschlechtsgebundene Vererbung
Eine weitere Vererbungsweise wird als geschlechtsgebunden bezeichnet. Die hierbei zuständigen Gene sitzen an den Geschlechtschromosomen, wovon das Männchen zwei längliche, in Form und Information identische, und das Weibchen zwei unterschiedlich ausgebildete besitzt. Das eine ist länglich wie die beim Männchen und Träger der gleichen Erbfaktoren. Das andere ist merklich kürzer, häkchenförmig gekrümmt und für die Bestimmung des Geschlechts zuständig.
Bei Vögeln verhält es sich also genau umgekehrt wie bei den Säugetieren, wo die XY-Chromosomen beim Männchen, die XX-Chromosomen beim Weibchen vorhanden sind. Für die geschlechtsgebundene Vererbung sind die Buchstaben X und Y gewählt worden. So werden die beiden gleichen Geschlechtschromosomen mit den XX von den weiblichen mit XY unterschieden. Nach der Befruchtung entsteht ein diploider (normal doppelter) Organismus, der sich je nach Zusammenfügen der Geschlechtschromosomen zu einem männlichen oder weiblichen Fötus entwickelt. Dringt ein männlicher Same, stets ein X-Chromosom, in die weibliche Eizelle mit einem X- Chromosom, dann entwickelt sich ein männlicher Nachkomme. Verschmelzen ein weibliches Y- Chromosom und ein männliches X- Chromosom, so entsteht ein weiblicher Fötus.
Beim sogenannten Crossing over (Überkreuzen) reißen manche der sonst paarig vorhandenen fadenartigen und im Kernsaft schwimmenden Chromosomen auseinander und wachsen an anderer Stelle wieder zusammen. Durch die Änderung der Erbanlagen treten ganz andere als die zu erwartenden Resultate zu Tage. (Horst Bielfeld)