Leer gefischt: Ursachen und Folgen der Überfischung
Die Überfischung ist eines der größten Umwelt-Probleme unserer Zeit und hat weitreichende Folgen für Menschen, Tiere und Ökosysteme. Ein Meeresbiologe erklärt, warum Überfischung so problematisch ist, welche Folgen sie hat und wie man diese Folgen noch verhindern kann.
Die Erde wird auch als blauer Planet bezeichnet: 71 Prozent der gesamten Erdoberfläche bestehen aus Wasser. Fast 98 Prozent dieser Fläche nimmt Salzwasser, also Meere und Ozeane, ein. Lange schien das Meer unerschöpflich, sein Artenreichtum unendlich. Doch das ist es nicht. Langsam, aber sicher werden die Ozeane leer gefischt – mit weitreichenden Konsequenzen.
Was heißt Überfischung und wie ist die aktuelle Lage?
Die Ozeane und ihre Bewohner sind aus verschiedenen Gründen gefährdet. Neben den großen Problemen Verschmutzung, Klimawandel und Versauerung der Meere gehört die Überfischung zu den größten Herausforderungen dieses Lebensraums.
Weltweit gelten etwa 30 Prozent der kommerziell genutzten Fischbestände als überfischt. Doch was bedeutet das eigentlich?
Wie Meeresbiologe Thilo Maack von der Organisation Greenpeace erklärt, wird von einer Fischart, die als überfischt eingestuft wird, „mehr aus den Weltmeeren herausgenommen als nachwachsen kann.“ Das heißt: Es werden immer weniger Fische. 60 Prozent der kommerziell genutzten Fischbestände ist außerdem „maximal genutzt“. Das ist „fatal“, wie Maack erklärt, denn maximal genutzt ist die Vorstufe von überfischt.
Einige Fakten zum Thema Überfischung:
- Europa ist der größte Fisch-Importeur der Welt.
- Die größten messbaren Effekte von misslungenem Fischerei-Management gibt es in den europäischen Meeren. Im Mittelmeer ist es „ganz besonders schlimm“, so Maack: Mehr als 90 Prozent der Speisefischarten dort sind überfischt. Auch das chinesische Meer ist ein Negativ-Beispiel.
- Vergleichsweise gut gemanagt ist Maack zufolge die Fischerei im norwegischen Meer (Barentssee). „Die Norweger haben rigide Fischerei-Kontrollen und entsprechende Sanktionen“, so Maack.
- Besonders stark betroffene Fischarten sind unter anderem Hering, Dorsch aus der Ostsee sowie der Thunfisch.
- Der Fang von Fischen für menschlichen Verzehr ist nicht der einzige Grund für den Fischfang. Zwölf Prozent der Fangmenge weltweit (nicht nur aus der Seefischerei) gehen in den Non-Food-Bereich. In der Ostsee wird zum Beispiel mehr Fisch für nicht-menschlichen Verzehr als für menschlichen Verzehr gefangen. „Sprotten, die in der Ostsee gefangen werden, gehen zu über 90 Prozent in Futtermittel und werden z.B. an Lachse in Norwegen oder an Nerze in Pelzfarmen in Dänemark verfüttert“, so Maack.
Wie konnte es zur Überfischung kommen? Die Hauptprobleme
Mit dem Aufkommen großer Dampfschiffe Ende des 19., beziehungsweise Anfang des 20. Jahrhunderts war der Grundstein für die Fischerei in riesigen Dimensionen gelegt. Anstelle von wenig invasiven Fangmethoden (Angeln, Reusen, Fischfallen) setze man nun auf große Schiffe, die Netze hinter sich herziehen, in denen der Kölner Dom Platz hätte, erklärt Meeresbiologe Thilo Maack. „Da ist das Problem wirklich groß geworden“, sagt er. Während des Zweiten Weltkriegs konnten sich die Fischbestände etwas erholen, doch seit 1950 steigt die Zahl gefangener Meeresfische drastisch: Waren es 1950 noch ca. 17 Millionen Tonnen, so lagen die Fangmengen 2018 bereits bei etwa 84 Millionen Tonnen.
Die Hauptprobleme in der Seefischerei liegen vor allem in drei Punkten:
1. Die Mengen
Wie Maack erklärt, heißt es in der Fischerei, dass die Hälfte eines Fischbestands entnommen werden kann, ohne dass ein Bestand überfischt wird. „Wir halten diese Herangehensweise für falsch“, so der Greenpeace-Biologe. Damit sich die Bestände regenerieren können „müsste die Sicherheitsmarge viel größer sein. Zum Beispiel, dass man maximal ein Viertel eines Bestands entnehmen darf.“
Außerdem werden immer größere Boote, größere Netze, stärkere Motorenleistungen und bessere Ortungstechniken eingesetzt. „Der Aufwand, um die gleiche Menge Fisch zu fangen, wird immer größer“, so Maack. „Das ist für eine natürliche Ressource (Fisch) auf einem begrenzten Planeten eine fatale Herangehensweise. Eigentlich hätte man längst auf eine Pause- beziehungsweise Stopptaste drücken müssen.“
2. Der Beifang
Durch Fangmethoden wie beispielsweise Schleppnetze landen nicht nur die Fische im Netz, die wirklich gefangen werden sollen. Auch Schildkröten, Haie, Delfine, Nicht-Speisefische, Schnecken, Muscheln, Seesterne, Krebse und viele andere Tiere werden gefangen. Sie werden an Board aussortiert und tot oder schwer verletzt wieder ins Meer gekippt. 90 Millionen Tonnen Fisch werden jährlich angelandet. Hinzu kommen 30 Millionen Tonnen Beifang. Ein Beispiel: Als Beifang von Thunfischfängen sind die Bestände mancher Hochseehaiarten gegenüber den Beständen vor 100 Jahren um 98% eingebrochen.
3. Die Grundschleppnetzfischerei
Bei der Grundschleppnetzfischerei handelt es sich um die Fischerei mit Netzen, die über den Meeresboden gezogen werden. „Eine Studie zeigt, dass durch diese Netze jährlich 1,5 Milliarden Tonnen Co2, das eigentlich am Meeresboden gebunden ist, wieder in die Wassersäule eingebracht werden. Das ist so viel Co2 wie der weltweite Flugverkehr jährlich produziert“, so Maack. Das ist fatal, denn die Ozeane binden Kohlenstoffdioxid und sind daher ganz grundlegend für den Kampf gegen den Klimawandel. Wird hingegen Co2 wieder in die Wassersäule eingebracht, trägt das zur Versauerung der Meere bei.
Die Folgen der Überfischung
Die Überfischung und der drastische Rückgang vieler Fischbestände ziehen weitreichende Konsequenzen mit sich. Befürchtet wird nicht, dass die Fische vollständig aussterben. Das ist ziemlich unwahrscheinlich, so Maack, komme bei einzelnen Arten aber trotzdem vor.
Das Problem ist: Wenn die Fischerei weiterhin so betrieben wird, wie es aktuell der Fall ist, werden die Meere in einigen Jahren ziemlich leer sein. Zu leer:
- „Studien sagen, dass 2048 die Speisefischbestände so heruntergewirtschaftet sein werden, dass sich Wildfischerei nicht mehr lohnt“, erklärt Maack. Es werde dann zu teuer, Schiffe auszurüsten, um „das bisschen Fisch zu fangen, das noch da ist“. Das heißt: Der Globale Norden (Industrieländer) muss dann gezwungenermaßen auf Meeresfischprodukte verzichten.
- Vor allem die Menschen im Globalen Süden (Entwicklungs- und Schwellenländer) werden ein enormes Problem bekommen, wie Maack erklärt: Es handle sich dabei um etwa drei Milliarden Menschen, die auf Fisch als primäre Proteinquelle angewiesen sind. Gibt es nicht mehr genug Fisch, so fehlt ihnen ihre Nahrungsgrundlage. Hunger und Migrationswellen werden die Folgen davon sein. „Das wird ein Riesen-Problem“, so Maack.
- Fische spielen eine essenzielle Rolle im Ökosystem Meer. Sie dienen als Nahrungsgrundlage für andere Tiere. Gibt es kaum noch Fische, so gibt es auch kaum noch Seevögel, Meeressäuger und andere Meeresbewohner. „Wenn wir nicht in den nächsten zehn bis spätestens 20 Jahre großflächige Schutzgebiete einrichten, dann wird es zu einem massiven Zusammenbruch von großen Teilen der Meeres-Ökosysteme kommen.“, so Maack.
Überfischung bekämpfen: Das muss passieren
Noch kann man das Ruder herumreißen und der Überfischung entgegenwirken. Der wichtigste Punkt dabei: Die Fischbestände müssen sich erholen können. Diese drei Aspekte zusammen können das möglich machen:
1. Großflächige Schutzgebiete im Meer
Wichtig wäre es, große Schutzgebiete auszuweisen, erklärt Maack. Greenpeace setzt sich für die sogenannte „30 x 30 Forderung“ ein: „Mindestens 30 Prozent der Meere müssen bis 2030 unter strengen Schutz gestellt werden“, erklärt der Meeresbiologe. In diesen fischerei-freien Gebieten sollen sich die Fischbestände und die Meeresnatur allgemein erholen können.
„Irgendwann sind die Fischbestände in den Schutzgebieten so zahlreich, dass sie aus den Schutzgebieten auswandern und außerhalb der Schutzgebiete der Fischerei wieder zur Verfügung stehen. Das ist ein Prinzip, das in der internationalen Meerespolitik noch nicht angekommen ist“, so Maack.
2. Nachhaltige Fischerei
Essenziell für die Fischbestände und ein gesundes Meeres-Ökosystem ist eine nachhaltige Fischerei. „Wir müssen zurück zu kleineren, handwerklichen Methoden“, so Maack.
3. Fisch-Bewusstsein beim Verbraucher
Ein besonders wichtiger Punkt ist, dass sich das „Fischbewusstsein“ beim Konsumenten stärken muss. Denn die Nachfrage bestimmt bekanntlich das Angebot und die industrielle Fischerei reagiert mit ihren größeren Schiffen und höheren Fängen auf die gesteigerte Nachfrage nach Fisch: Heutzutage kann man Fisch und Meeresfrüchte überall erwerben: Egal ob das Fischfilet aus der Tiefkühltruhe, Tintenfischringe beim Griechen oder der Thunfisch, der wie selbstverständlich in den meisten Vorratsregalen steht und täglich als Salattopping oder Pizzabelag verwendet wird. Der Pro-Kopf-Verbrauch von Fisch (allgemein, nicht nur aus Meeresfischerei) lag 1950 bei sechs Kilogramm, im Jahr 2017 bei 20,3.
Stattdessen muss Fisch als Delikatesse gesehen werden, als etwas Besonderes, findet Maack. „Wenn man wirklich ehrlich ist, sollte man keinen Fisch mehr essen“, sagt er. Wer nicht ganz darauf verzichten möchte, für den hat Maack folgende Tipps:
- Sich selbst informieren und dann eine Entscheidung treffen (Filmempfehlung zu dem Thema: Seaspiracy auf Netflix)
- Fisch nur zu besonderen Gelegenheiten essen
- Informieren, woher der Fisch kommt und Fisch aus regionalen Fischereien kaufen, nicht den Fisch aus dem TK-Regal
- Siegeln, die angeblich für nachhaltige Fischerei stehen, nicht blind vertrauen: „Das MSC-Siegel ist zum Beispiel nicht verlässlich“, so Maack. „Zu viele Fischereien sind MSC-zertifiziert, die nicht nachhaltig wirtschaften.“
Betrachtet man die Prognosen für die nächsten Jahre, so wird schnell deutlich, dass es nichts bringt, seinen Fischkonsum nicht zu überdenken. Denn wenn man sich jetzt nicht ein bisschen einschränkt und Fisch als etwas Besonderes wahrnimmt, dann wird man in spätestens 30 Jahren vollständig darauf verzichten müssen.
Wie sind die Aussichten?
Trotz allen düsteren Vorhersagen bleibt Maack hoffnungsvoll. „Sonst könnte ich meinen Beruf gar nicht machen“, sagt der Greenpeace-Meeresbiologe. Aktuell gebe es zum Beispiel Diskussionen auf Ebene der Vereinten Nationen, dass es ein „Hochseeschutzinstrument“ geben soll. „Das wäre natürlich toll“, so Maack. Seine Hoffnung ist es, dass das noch dieses Jahr zustande kommt. „Und wenn Länder wie die USA, die die 30 x 30 Forderung ebenfalls unterzeichnet haben, ihr ganzes politisches Gewicht in die Waagschale werfen, dann glaube ich, ist da wirklich was zu machen“. Auch die Bundesregierung unterstütze die 30 x 30 Forderung.
Hauptquelle für Zahlen und Statistiken: FAO Bericht zur Fischerei