Endstation Autobahn: Haustiere vor Urlaub einfach ausgesetzt
Angebundene Hunde an Autobahnraststellen, abgestellte Katzen in Transportboxen oder Kleintiere, die einfach auf der Straße landen: Jedes Jahr werden unzählige Tiere von ihren Haltern ausgesetzt. Gerade die Urlaubszeit bedeutet für viele Tiere großes Leid.
Dem Deutschen Tierschutzbund zufolge werden hochgerechnet rund 350.000 Tiere pro Jahr in deutschen Tierheimen aufgenommen. Die meisten davon seien Fundtiere, gefolgt von Abgabetieren. Die Sommermonate seien für die Tierheime dabei „immer eine traurige Hochsaison“, erklärt Hester Pommerening vom Deutschen Tierschutzbund. Deutschlandweit handelt es sich um mehrere zehntausende Tiere während der Sommerzeit.
Die große Welle kommt noch
Leider werden jedes Jahr viele Tiere vor und während der Sommerferien ausgesetzt. Der Tierschutzverein Hamburg meldet bereits 102 vermutlich ausgesetzte Haustiere zwischen dem 1. und 22. Juni 2021. „Ob ein Tier wirklich ausgesetzt wurde, weiß man oft nicht genau. Nicht alle werden im Karton abgestellt oder angebunden. Wenn aber ein Fundtier nicht abgeholt wird und keiner dafür anruft, heißt das für uns, es wurde ausgesetzt“, erklärt Sven Fraaß, Pressesprecher des Hamburger Tierschutzvereins.
Weitere 47 Tiere wurden in diesem Zeitraum abgegeben, weil sie nicht mehr gehalten werden konnten. „Wir vermuten, dass die große Welle aber erst noch kommt, wenn die Pandemie in den Griff bekommen wurde“, so Fraaß.
Warum werden Tiere ausgesetzt?
Die detaillierten Gründe dafür, warum Tiere ausgesetzt werden, lassen sich natürlich nicht bestimmen, denn in den meisten Fällen erzählen die Menschen das aus Scham nicht. Folgende Gründe sind aber denkbar:
- unüberlegte und voreilige Anschaffung, v.a. auch im Internet (anschließende Überforderung oder Umentscheidung)
- Tiere als unüberlegte Geschenke (vor allem Kleintiere)
- Urlaubszeit
Warum werden die Tiere dann aber nicht direkt im Tierheim abgegeben, sondern einfach ausgesetzt? „Ich vermute, dass eine Aussetzung umso wahrscheinlicher wird, je profaner der Grund ist, ein Tier nicht mehr halten zu können bzw. zu wollen, es also vermeintlich zu peinlich wäre, das uns gegenüber zuzugeben“, so Fraaß vom Hamburger Tierschutzverein.
Corona und Sommerferien: Jetzt leiden die Tiere doppelt
Während Corona haben sich viele ein Haustier angeschafft – häufig auch unüberlegt. „Viele waren zur Pandemie-Zeit mehr zu Hause, andere waren einsam, oder haben sich gelangweilt. Da sollte man ehrlich zu sich selbst sein: Reicht das aus, um ein Tier zu adoptieren?“, erklärt Sven Fraaß vom Tierschutzverein Hamburg. Allein wegen der unüberlegten Anschaffungen rechnet man mit einer Abgabewelle.
Erschwerend hinzu kommen die Lockerungen und die Urlaubssaison. Die Menschen können wieder reisen, in den Sommerferien haben sie die Gelegenheit dazu. Vorschnell gekaufte Haustiere werden ausgesetzt. „Da treffen zwei Faktoren zusammen: Die unüberlegte Corona-Anschaffung und die Reisezeit. Da leiden die Tiere doppelt darunter und die Zahlen der Aussetzungen werden noch deutlich steigen“, sagt Sven Fraaß.
Welche Tiere werden ausgesetzt?
Ausgesetzt werden eigentlich alle möglichen Tierarten: Katzen, Hunde, Kleinsäuger, Vögel, Reptilien. Üblicherweise belegen Katzen den traurigen Platz eins. „Doch, nur auf das Thema Corona bezogen, würde ich denken, dass eher Hunde unüberlegt geholt wurden, wie auch die Auswüchse des skrupellosen und so lukrativen Welpenhandels belegen“, meint Sven Fraaß vom Tierschutzverein Hamburg. Da jedoch eine Chip-Pflicht für Hunde in Hamburg gilt, werden sie häufiger direkt abgegeben als ausgesetzt.
1/4: Kaninchen Mango, Kiwi und Maria
Mango wurde mit zwei weiteren Kaninchen, Kiwi und Maria, in einem Karton im Hamburger Stadtpark gefunden, in dem sie hilflos ausharren mussten.
2/4: Pfirsichköpfchen Emma und Amy
Die Pfirsichköpfchen Emma und Amy wurden in einem Käfig ausgesetzt. Die Vögel wurden deutlich vernachlässigt.
3/4: Hündin Anouk
Hündin Anouk lief allein durch Rahlstedt. Sie ist noch immer sehr verängstigt, doch was die Hündin erlebt hat weiß niemand. Bis heute hat niemand Anouk als vermisst gemeldet, weswegen der Hamburger Tierschutzverein von einer Aussetzung ausgeht.
4/4: Kater Püppi
Kater Püppi wurde seinem Schicksal überlassen, als seine Menschen auszogen. Er wurde zum Glück rechtzeitig gefunden. Der Kater war bei seiner Aufnahme sehr ausgezerrt und dehydriert.
Gefährliche Corona-Trends
Nicht nur Hunde und Katzen wurden unüberlegt während Corona angeschafft. Auch die Geflügel-Haltung erlebte einen regelrechten Boom. Doch die Arbeit, die diese Tiere mit sich bringen, wurde häufig unterschätzt. So wurden viele Hähne dieses Jahr schon ausgesetzt.
Auch 60 Wachteln wurden in einem Fleet, einem Kanal, ausgesetzt. Die Vögel können nicht schwimmen. Viele ertranken oder schafften es zu fliehen. Sechs der Japanwachteln konnte eine Privatperson retten, der Hamburger Tierschutzverein versorgt sie nun bis zur Vermittlung. Sie sind vermutlich ebenfalls Opfer des Hühner-Booms durch Corona.
Was passiert mit ausgesetzten Tieren?
Die Schicksale von ausgesetzten Tieren verlaufen sehr unterschiedlich. Im besten Fall werden sie gefunden und in ein Tierheim gebracht. Es passiert aber auch, dass die ausgesetzten Tiere sterben oder verwildern. Vor allem bei Katzen sei letzteres oft der Fall.
„Grundsätzlich gilt, dass eine Aussetzung mit Lebensgefahren verbunden ist und auch ein Trauma für das Tier bedeuten kann“, so Diplom-Biologe Fraaß vom Hamburger Tierschutzverein. Es gebe viele Tiere die sich, oft nach einer Warmlaufzeit, dankbar und froh zeigen. Täglich versterben Fraaß zufolge aber auch verunfallte oder krank ausgesetzte Tiere in der Obhut des Tierheims oder müssen eingeschläfert werden.
Es werden allerdings nur Tiere eingeschläfert, die todkrank oder schwer verletzt sind. Es gibt den Mythos, dass Tiere auch aus Platzgründen eingeschläfert werden. Das stimmt nicht! Es ist in Deutschland verboten, aus Kapazitätsgründen Heimtiere zu töten. „Irgendwie muss es immer gehen – und wenn das auch bedeuten mag, dass Katzen in Boxen gestapelt werden“, so Fraaß. Solche Phasen habe es auch schon gegeben.
In den Hochzeiten von abgegebenen und ausgesetzten Tieren kommen die Tierheime schon einmal an ihre Grenzen, sowohl platz- als auch personaltechnisch. Die Versorgung der Tiere sei deshalb nicht immer so möglich, wie das Tierheim es sich wünschen würde, so Fraaß. „Viele Ansprüche der Tiere können leider nicht bedient werden“, erklärt er.
Welche Strafen gibt es für das Aussetzen eines Tiers?
Paragraf 3, Ziffer 3 des Tierschutzgesetzes besagt, dass es verboten ist, „ein im Haus, Betrieb oder sonst in Obhut des Menschen gehaltenes Tier auszusetzen oder es zurückzulassen, um sich seiner zu entledigen oder sich der Halter- oder Betreuerpflicht zu entziehen“. Folgende Strafen gelten für Tier-Aussetzer, wenn sie ausfindig gemacht werden können:
- Ein Verstoß gegen das Gesetz wird als Ordnungswidrigkeit behandelt und mit Geldbußen bis 25.000 Euro bestraft.
- Wenn das Tier durch das Aussetzen nachweisbare erhebliche Schmerzen, Leiden oder Schäden erfährt, erfüllt dies den Straftatbestand der Tierquälerei und kann mit Haft bis 3 Jahre oder Geldstrafe geahndet werden.
Sven Fraaß vom Tierschutzverein Hamburg bemängelt, dass es zwar hohe Strafen gibt, sie jedoch fast nie angewandt werden. „Tier-Aussetzungen geltenimmer noch als ein Kavaliersdelikt“, meint er.
Was tun, wenn ich mit meinem Haustier überfordert bin?
Wenn Sie sich mit Ihrem Haustier überfordert fühlen, nicht so viel Zeit dafür haben wie es braucht oder es andere Gründe wie Unverträglichkeiten mit anderen Haustieren oder Kindern gibt: Bitte setzen Sie es nicht einfach aus! Suchen Sie sich Hilfe. Häufig lassen sich Probleme lösen. Sprechen Sie mit Experten offen über Ihre Bedenken. Je nach Anliegen können das zum Beispiel Tierärzte, Tierpsychologen oder Trainer sein.
Wenn es keinen anderen Weg gibt, dann geben Sie Ihr Tier ehrlich ab. Fraaß vom Hamburger Tierschutzverein bezeichnet das als „Mindestmaß an letzter Verantwortungsübernahme“. Kümmern Sie sich privat um ein dauerhaftes und liebevolles Zuhause für das Tier oder bringen Sie es ins Tierheim. „Dann können alle wichtigen Informationen mitgeteilt werden und eine Weitervermittlung ist rechtlich am selben Tag noch möglich“, so Fraaß. Ein Tier einfach auszusetzen und sich selbst zu überlassen, ist sehr unverantwortlich.
Wenn Sie in den Urlaub fahren möchten und Ihr Haustier bei der Reise nicht mitnehmen können oder wollen, dann kümmern Sie sich im Vorhinein um eine Bleibe für das Haustier während Ihrer Abwesenheit. Warum aussetzen, wenn es auch so viele andere Möglichkeiten gibt? Wenn Nachbarn oder Bekannte keine Zeit haben, dann gibt es immer noch Tierpensionen oder Tiersitter, die sich gut um Ihr Tier kümmern und auch nicht so teuer sind.
Anschaffung eines Haustiers gut durchdenken
Vor allem ist es aber wichtig, sich die Anschaffung eines Haustiers ganz gründlich zu überlegen. Ein Haustier sollte niemals aus einer spontanen Laune heraus gekauft werden.
- Informieren Sie sich ausführlich darüber, welche Haltungsansprüche Ihr gewünschtes Haustier hat.
- Prüfen Sie, ob Sie diesen Haltungsansprüchen gerecht werden können.
- Haben Sie die zeitlichen, finanziellen und platztechnischen Möglichkeiten, das Tier artgerecht zu halten?
- Haben Sie oder eine andere Person im Haushalt eine Allergie? Im Zweifel davor testen lassen.
- Gibt es eine Urlaubsunterkunft für das Tier?
- Sind Sie bereit dazu, bedingungslos für das Tier zu sorgen, auch wenn es krank wird?
- Sind Sie bereit dazu, Verantwortung für das Tier bis an sein Lebensende zu übernehmen? Katzen können zum Beispiel bis zu 15 oder 20 Jahre alt werden, Hunde auch zum Teil bis zu 15 Jahre.
- Vermeiden Sie Nachwuchs bei Ihrem Tier unbedingt, wenn Sie keine sicheren und verantwortungsvollen Abnehmer dafür haben. Ansonsten ziehen Sie eine Kastration in Betracht.
Wenn Sie sich nach diesen Schritten für ein Tier entscheiden, dann überlegen Sie: Muss es ein Tier vom Züchter sein? Unzählige Tiere warten in Tierheimen bereits auf ein neues Zuhause. Vielleicht ist da ja eins für Sie dabei. So helfen Sie vielleicht sogar einem einst ausgesetzten Tier und geben ihm ein neues Zuhause…