Jagdinstinkt beim Hund kontrollieren: Jagen? Nur mit meinem Menschen

Den natürlichen Jagdinstinkt Ihres Hundes können Sie auf artgerechte Weise fördern, indem Sie gemeinsame Jagdspiele und Ersatzjagdtechniken einsetzen, die die natürlichen Bedürfnisse Ihres Hundes befriedigen und gleichzeitig die Bindung stärken.

Jagdinstinkt beim Hund kontrollieren
© stock.adobe.com/Sabine Schmidt

Das Bedürfnis unserer Hunde, einer Beute hinterherzujagen, ist tief in ihrem Wesen verankert. Doch ist es sinnvoll, dieses Bedürfnis zu unterdrücken? Stattdessen sollten wir unseren Hunden ein gemeinsames Erlebnis bieten, das uns als Team zusammenschweißt. Das Erleben der Jagd mit ihrem Halter kann das natürliche Bedürfnis nach Verfolgung befriedigen und gleichzeitig die Bindung stärken.

Der Jagdinstinkt in ruhigen Hunden

Selbst bei Hunden, die als besonders ruhig und entspannt gelten, kann Jagdinstinkt hervortreten. Ein Beispiel: Auf der Wiese rennt plötzlich ein Hund einem Vogel hinterher, was auch die anderen Hunde in der Nähe dazu animieren kann, hinterherzurennen. Solche Szenarien sind nicht nur stressig, sondern auch gefährlich. Die Kontrolle des Jagdinstinkts ist eine der größten Herausforderungen im Umgang mit Hunden. Doch wie lässt sich dieser Instinkt gezielt lenken?

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Die Philosophie von Jan Nijboer

Jan Nijboer, ein erfahrener Hundeerziehungsberater und Fachbuchautor, hat eine eigene Philosophie entwickelt, um den Jagdinstinkt zu kontrollieren. Sein Ansatz, „Natural Dogmanship“, basiert auf der Erkenntnis, dass es ein Fehler ist, Hunden das Jagen komplett zu verbieten. „Die Nahrungssuche gehört zu den Grundbedürfnissen der Tiere“, erklärt Nijboer. Ihn daran zu hindern, verstoße gegen die Prinzipien artgerechter Haltung.

Jagen als Grundbedürfnis

Schon im Welpenalter lässt sich erkennen, dass Jagen ein natürlicher Bestandteil des Hundeverhaltens ist. „Junge Tiere spurten umherfliegenden Blättern hinterher, schnappen nach Fliegen und zerreißen Kissen“, beschreibt Nijboer. Diese Verhaltensweisen sind Ausdruck ihres Bedürfnisses, zu lernen und sich selbst zu beschäftigen. Doch anstatt ihnen das natürliche Verhalten zu ermöglichen, bringen wir ihnen oft bei, was uns als Menschen wichtig erscheint. Nijboer betont, dass der Jagdinstinkt individuell ausgeprägt ist, sich jedoch durch Züchtung verstärken oder abschwächen lässt.

„Wir haben dafür gesorgt, dass unsere Haustiere weniger reizbar sind. Aber sie haben noch die gleichen Grundbedürfnisse wie ihre Urahnen.“

Frustrierte Hunde

Das heutige Leben unserer Hunde weicht von den natürlichen Gegebenheiten ab. Während wir mit ihnen spazieren gehen, laufen ihnen auf Feldern, in Wäldern und auf Wiesen immer wieder Beutetiere vor die Nase. Doch anstatt ihre Instinkte auszuleben, dürfen sie sich nicht bedienen. Nijboer vergleicht diese Situation mit dem Besuch eines Supermarkts, bei dem man sich zwar alles ansehen kann, aber nichts mitnehmen darf: „Das ist, als gingen wir Menschen regelmäßig durch den Supermarkt, um uns das Angebot anzuschauen, aber etwas mitzunehmen wäre verboten.“ Die Frustration der Tiere ist vorprogrammiert.

Die richtige Lösung: Die Ersatzjagd

Anstatt unseren Hunden die Jagd zu verwehren, sollten wir einen Ersatz schaffen, der ihre Instinkte befriedigt. „Dabei geht es nicht allein um die Handlung, sondern um den echten Nahrungserwerb“, erklärt Nijboer. Beim Werfen von Bällen oder dem Einsatz von mit Sägespänen gefüllten Dummies erleben Hunde zwar den Erfolg, Beute zu ergreifen, doch der Misserfolg folgt, weil das „Gefangene“ nicht essbar ist. Dies kann dazu führen, dass die Jagd nach dem Ball zum Zwang wird.

Die Ersatzjagd sollte daher so gestaltet werden, dass sie alle Aspekte der natürlichen Jagd nachahmt: Jagen, Fressen, Verdauen.

Der Hund als Beutegreifer

„Der Hund ist biologisch nun mal ein Beutegreifer“, so Nijboer. Jedes Lebewesen strebt nach einem Zustand der Homöostase, also nach geistiger und körperlicher Balance. Wenn Hunde Hunger haben, sind sie auf Nahrungssuche. Das Problem bei modernen Hunden ist, dass ihnen das Essen meist frei zur Verfügung gestellt wird, was ihren natürlichen Instinkt unterdrückt. Wie bei Katzen, die trotz Sättigung ihre Beute malträtieren, neigen Hunde dazu, ihren Jagdtrieb auch dann auszuleben, wenn sie bereits gefüttert wurden. Nijboer beobachtet: „'Erzogene' Hunde halten sich zwar an Verbote, aber sie haben trotzdem ihre 'verrückten fünf Minuten', in denen sie durch das Wohnzimmer rennen und Kissen malträtieren.“ Solches Verhalten beruht oft auf einer nicht artgerechten Haltung.

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„Behavioural Enrichment“ als Lösung

Das Konzept des „behavioural enrichment“ wird seit über 100 Jahren verwendet, um Tieren zu helfen, ihre natürlichen Verhaltensweisen auszuleben. Dabei dürfen Tiere das Futter nicht einfach fressfertig erhalten, sondern müssen es sich erarbeiten – ähnlich wie in der freien Wildbahn. Nijboer erklärt: „Auf Trainingsrunden für Servicehunde im Zoo hatte ich Kontakt zu dem niederländischen Primatologen und Verhaltensforscher Frans de Waal, der mir das Prinzip erklärt hat. Woraufhin ich mich fragte: Wieso dürfen unsere Haustiere das nicht?“ Dieses Prinzip sollte auch in der Hundeerziehung Anwendung finden.

Preydummies als Ersatzbeute

Um den Jagdinstinkt zu befriedigen, hat Nijboer den „Preydummy“ entwickelt, einen Beutebeutel, der mit der regulären Mahlzeit des Hundes gefüllt ist. Der Hund soll das Futter nicht einfach im Napf vorfinden, sondern es durch Suchen und Lösen von Aufgaben erlangen. Der Schlüssel zum Erfolg liegt darin, dass diese Dummies zum Beuteschema der Hunde werden. „Wild lebende Tiere schauen von ihren Eltern ab, was diese am meisten jagen, und entwickeln so ihre Präferenzen“, erklärt Nijboer. Wenn Hunde lernen, dass die mit Futter gefüllten Beutel das Jagdziel sind, wird ihre Jagdinstinkte auf die gemeinsame Jagd mit dem Halter fokussiert.

Wie fängt man an?

„Man beginnt mit kleinen Apportierspielchen in reizarmem Umfeld“, rät Nijboer. Eine Fünf-Meter-Leine am Hund sorgt dafür, dass er sich nicht mit dem Preydummy davonmacht. Der Mensch ist der Tippgeber und bestimmt Beginn und Ende der Jagd. So wird die Jagd zu einem Gemeinschaftsprojekt. Diese Form des „social enrichment“ stärkt die Bindung zwischen Hund und Halter.

Abwechslung für mehr Spaß

Die Pseudojagd sollte abwechslungsreich und spannend bleiben. „Die Pseudojagd sollte nicht schon nach fünf Minuten enden“, erklärt Nijboer. Hunde sollten beim Suchen, Hetzen und Lösen von Aufgaben gefordert werden. Dazu gehören etwa das Herunterholen der Beute von einem Baum oder das Fischen aus einem Rohr. Solche Übungen sorgen dafür, dass die Jagd spannend bleibt und die Hunde geistig gefordert werden.

Vom Wild zum Preydummy

Für Hunde, die bereits einen ausgeprägten Jagdinstinkt haben oder für Junghunde, bei denen nicht frühzeitig vorgebeugt wurde, lässt sich das Jagdverhalten umleiten. Zuerst sollte die Jagd in Gebieten ohne natürliche Beute stattfinden, etwa im eigenen Garten oder einem Industriegebiet. Regelmäßige Übung mit den Preydummies kann dann dazu führen, dass der Fokus auf die nachgestellte Jagd verschoben wird.

Über Jan Nijboer

Der Niederländer Jan Nijboer begann seine berufliche Laufbahn als Sozialpädagoge, wo er mit schwer erziehbaren Menschen arbeitete. Parallel züchtete er Leonberger und spezialisierte sich später auf das Training von Servicehunden. Nijboer dozierte an der Universität Groningen und widmet sich heute der Ausbildung von Hundeerziehungsberatern. Er hat zahlreiche Fachbücher zu diesem Thema verfasst. In Rheinland-Pfalz betreibt er die „Natural Dogmanship Zentrale“, in der er seine eigene Erziehungsphilosophie lehrt und ein Netzwerk von Natural-Dogmanship-Instruktoren aufgebaut hat. Zudem leitet er das Institut für Hundeerziehungsberatung in Niedersachsen und Rheinland-Pfalz, wo er Fachkräfte in diesem Bereich aus- und fortbildet. Weitere Informationen finden Sie auf seinen Websites: natural-dogmanship.de und institut-hundeerziehungsberatung.de.

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